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Keine Schablonen

Das RAIQA soll nach seiner Fertigstellung möglichst vielen Menschen offenstehen – natürlich auch jenen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Im Interview erklärt Marianne Hengl, Obfrau des Vereins RollOn Austria, was es im Hinblick auf Barrierefreiheit zu beachten gilt, in welchen Bereichen es oft noch hapert und was sie sich diesbezüglich vom neuen Quartier in Innsbrucks Mitte erwartet.

Wie steht es grundsätzlich mit der Barrierefreiheit in Tirol?

MARIANNE HENGL: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Auf der einen Seite ist Tirol ganz gut aufgestellt, vor allem im Vergleich zu anderen österreichischen Bundesländern, und gemeinsam mit Wien sicher federführend in diesem Bereich. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch viel zu verbessern.

Woran scheitert es Ihrer Ansicht nach noch?

Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet, aber natürlich jemand, der das selbst erlebt, und das Tag für Tag. Meiner Meinung fehlt es viel zu oft einfach an grundlegendem Verständnis für die Bedürfnisse behinderter Menschen. Klar, es gibt mittlerweile viele Auflagen und Normen, die bei neuen Bauten umgesetzt werden müssen, aber häufig macht man sich keinerlei Gedanken dazu, sondern erledigt nur das, was nötig ist – ohne sich zu überlegen, ob diese oder jene Lösung auch praxisnah ist.

Marianne Hengl

Marianne Hengl, 1964 als erstes von fünf Kindern in Saalfelden geboren, kam mit einer durch einen genetischen Defekt hervorgerufenen Gelenkversteifung an allen vier Gliedmaßen zur Welt. Nach ihrer schulischen Laufbahn in Innsbruck und Axams war Hengl lange für die Sozialen Dienste der Kapuziner (slw) tätig, bevor sie 1989 Obfrau des Vereins RollOn Austria wurde, der in ganz Österreich Lobbyarbeit für Menschen mit Behinderungen betreibt. Zur umfassenden Öffentlichkeitsarbeit von Hengl, die seit ihrem fünften Lebensjahr im Rollstuhl sitzt, gehören unter anderem die ORF-Produktion „Gipfel-Sieg“ sowie die Radio-Tirol- Sendung „Stehaufmenschen“.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Häufig sind Sanitäranlagen ein Problem, sogar in Lokalen und Einrichtungen, die als barrierefrei ausgewiesen sind. Ich bin viel unterwegs und habe auf meinen Dienstreisen schon oft erlebt, dass es zwar Behinderten-WCs gibt und diese auch groß genug sind, alle vorgeschriebenen Standards erfüllen – aber man muss mehrere Stufen überwinden, um da überhaupt reinzukommen. Oder das Waschbecken ist so platziert, dass man das Klo nicht richtig erreichen kann. Das sind alles so Sachen, da kommen einem fast die Tränen.

Wie lassen sich solche Verhältnisse vermeiden?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Beispielsweise könnte man sich vor einem Bauvorhaben Rat bei jemandem einholen, der selbst betroffen ist oder sich mit der Materie auskennt. Heutzutage stehen auch viele Behindertensachverständige bereit, die man dafür konsultieren kann. Noch besser wäre aber, und das wird leider noch immer stark vernachlässigt, Architekt:innen künftig richtig zu schulen. Die müssen bereits in ihrer Ausbildung entsprechend gebrieft werden, was Barrierfreiheit bedeutet, damit das später ordentlich umgesetzt werden kann. In vielen Fällen würde es jedoch schon helfen, den eigenen Hausverstand zu gebrauchen und sich statt einer 0815-Lösung in Menschen mit besonderen Bedürfnissen hineinzuversetzen. Empathie und Einfühlungsvermögen sind gefragt.

Haben Sie den Eindruck, dass es daran noch immer mangelt?

Ja, bis zu einem gewissen Grad. Natürlich hat sich das im Laufe der Jahre deutlich verbessert, nicht zuletzt, weil es mittlerweile viele Behindertenaktivist: innen gibt, die Aufklärung betreiben, um Rechte kämpfen und ihre Stimme erheben. Und in der Politik machen wir ebenfalls den nötigen Druck. Fakt ist aber auch, dass Menschen mit Behinderung leider weiterhin ausgegrenzt sind und werden. Und das spürt man immer wieder im Alltag.

Inwiefern?

Abgesehen von gewissen Hürden in Gebäuden müssen wir uns oft wilde Sachen anhören – etwa, dass wir „eh nicht überall hin“ müssten und dergleichen. Zudem vergisst man, glaube ich, häufig, dass es verschiedene Beeinträchtigungen gibt, die man berücksichtigen muss. Blinde haben natürlich ganz andere Bedürfnisse als Gehörlose oder Menschen, die wie ich im Rollstuhl sitzen. Und selbst innerhalb dieser Gruppen findet man haufenweise Unterschiede. Insofern ist Barrierefreiheit ein hochindividuelles Thema, für das es keine Schablonen geben sollte. Doch dafür muss man erst mal das nötige Bewusstsein in den Köpfen der Bevölkerung schaffen.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich Barrierfreiheit vom RAIQA?

Ich erhoffe, nein, erwarte mir, dass mit Expert: innen praktikable Lösungen für Menschen mit Behinderung erarbeitet werden und der Komplex eine Art Vorbildprojekt in Sachen Barrierfreiheit wird. Nicht zuletzt aufgrund des sozialen Anspruchs von Raiffeisen, der ja schon mit dem Gründer Friedrich Wilhelm Raiffeisen begonnen hat, und des Leitsatzes „Was einer nicht schafft, schaffen viele“. Jetzt kann man das zeigen, dass es nicht nur um finanzielle Unterstützung geht, sondern auch darum, dass Menschen mit Behinderung wirklich das Gefühl haben, willkommen zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.