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Neue Zeiten brauchen Neue Arbeit

Das Konzept von New Work ist nicht neu, aber wohl aktueller denn je. Vieles davon, was heute als New Work verkauft wird, ist allerdings nicht im Sinne des Erfinders. Doch was bedeutet „Neue Arbeit“ eigentlich? Und wer steckt dahinter?

Frithjof Bergmann hat sich ganz und gar der Arbeit verschrieben – nämlich dem Thema Arbeit –, und das, obwohl ihm immer wieder davon abgeraten wurde. Es sei ein Thema, das niemanden interessiere, hat man ihm gesagt. Doch der österreichisch-amerikanische Philosoph hat daran festgehalten und seine Idee, Menschen zu stärken und sie in ihrem Arbeitsleben glücklicher zu machen, weiterverfolgt.

Vom Fabrikarbeiter zum Yogalehrer

Seinen Anfang nahm das Konzept in Flint, Michigan. In den 1970ern war die US-Stadt eine Hochburg der Automobilherstellung. Doch eine Krise erschütterte den Markt in den frühen 1980er-Jahren. Computer ersetzten Menschen, dadurch drohte eine Entlassungswelle. An diesem Punkt stellten sich die Weichen für die Neue Arbeit. Bergmanns Vorschlag an den Automobilkonzern General Motors: Ein „Zentrum für Neue Arbeit“ soll den Schaden minimieren. Hier kam der Ausdruck „New Work“ zum ersten Mal vor.

Bergmanns Idee war es, eine Alternative zu Massenentlassungen zu schaffen. Statt die halbe Belegschaft zu kündigen, sollten die Leute die Hälfte des Jahres dort weiterarbeiten. Die andere Hälfte sollten sie das machen, was sie „wirklich, wirklich“ wollen. Das Zentrum für Neue Arbeit unterstützte sie einerseits dabei, diese Passion zu finden. Zum anderen ging es darum, einen Weg zu erörtern, damit Geld zu verdienen. So wurde beispielsweise aus einem Fabrikarbeiter in Flint ein Yogalehrer.

Konzept der Freiheit

New Work ist laut Frithjof Bergmann ein dynamischer Begriff. Er verstand darunter folgende Aufteilung: ein Drittel normale Erwerbstätigkeit, ein Drittel Eigenproduktion bzw.  Selbstversorgung und ein Drittel selbstgewählte Arbeit. Das Ziel des Sozialphilosophen war es, Lohnarbeit weitestgehend zurückzuschrauben. Doch wie soll sich das finanziell ausgehen? Auch darauf hatte Bergmann eine Antwort: Durch den Fokus auf das „wirklich, wirklich“ Wichtige werde auch der Konsum eingeschränkt, und man beschränke sich auf sinnvolle Produkte. Dieses Modell stützte Bergmanns Definition von Freiheit. Freiheit sei nämlich, der eigenen Berufung nachgehen zu können. Das wollte der gebürtige Sachse nicht nur auf Arbeit, sondern auch auf Bildung umlegen, sodass bereits junge Leute die Frage stellen dürfen, was sie wirklich wollen.

Im Wandel der Zeit

In den vergangenen 40 Jahren, seit der Entwicklung des Konzepts von New Work, hat sich viel getan. Der im Mai verstorbene Bergmann hat im Laufe seiner Karriere Menschen, Unternehmen, Institutionen und sogar Regierungen rund um den Globus beraten. Vor allem in Indien und China hat man sich auf seine Ideen eingelassen. Auch mit Google arbeitete der Sozialphilosoph bereits vor vielen Jahren zusammen. Dort hat sich das Konzept teilweise etabliert. Beispielsweise können Mitarbeiter:innen freitags zum Teil an eigenen Projekten und Ideen arbeiten.

Mehr als Homeoffice

Etwas getan hat sich auch im Bewusstsein Einzelner: Menschen würden Bergmann zufolge heute eher danach streben, dass sie ihre Arbeit glücklich macht. Vor allem in der jüngeren Generation sei das der Fall. Großflächig durchgesetzt hat sich New Work allerdings (noch) nicht. Unternehmen versuchten häufig lediglich, Lohnarbeit attraktiver zu machen – nicht aber, sie zurückzuschrauben. Firmen nennen das dann Neue Arbeit, obwohl es eigentlich gar nicht Bergmanns Idee entspricht.

Nichtsdestotrotz sah Bergmann großes Potential für die Anwendung seiner Ideen, insbesondere angesichts der aktuellen Krise. Die Umsetzung müsse aber auch von unten, also von den Arbeitenden selbst, kommen. Ein Trugschluss ist allerdings, den aktuellen Trend zu Homeoffice als New Work zu betrachten. Lohnarbeit werde dadurch lediglich an einen anderen Ort verlagert, nicht aber zurückgeschraubt. Frithjof Bergmann betonte immer wieder, dass es darum gehe, Menschen zu entwickeln und zu stärken. Und das gelinge nur, wenn sie das tun, was sie wirklich, wirklich wollen.

 

Frithjof Bergmann wurde am 24. Dezember 1930 in Sachsen geboren. Aufgewachsen in Österreich, besuchte er hier ein Gymnasium. Mit einem Text über die Schule der Zukunft gewann er ein Stipendium in den USA. Nach der Matura, mit 19 Jahren, trat er es an und blieb in den Vereinigten Staaten, wo er sich zunächst als Tellerwäscher und Preisboxer durchschlug. 1984 veröffentlichte der an der Universität Princeton promovierte Sozialphilo- soph das Buch „Neue Arbeit, neue Kultur“. Darin beschreibt er seine Idee von „New Work“ und wie man herausfinden kann, was man wirklich, wirklich will. Am 24. Mai 2021 verstarb Bergmann im Alter von 90 Jahren.